Wagnertradition im Vorharz

Aller guten Dinge sind drei: Nachdem der Vortrag von Musikdirektor Johannes Rieger wegen Corona zweimal (!) ausfallen musste, gelang der dritte Versuch umso besser. Im Oberlichtsaal der Stadtbibliothek trafen sich am 15. September wieder interessierte Wagner-Freunde. Rieger, seit 2009 Intendant der Nordharzer Städtebund-Theater, sprach durchweg souverän frei; er vermochte die Besucher auch ohne Bilder und in seinen Bann zu ziehen. So erfuhren die staunenden Gäste, dass bereits 1887 in Halberstadt Teile aus dem „Ring“ präsentiert wurden. Eine gute Militärkapelle bildete die musikalische Basis. Die weitere Geschichte der Wagner-Pflege ist so kurios wie einzigartig. Der international wegen seiner Gallen-Operationen gefragte Arzt Prof. Hans Kehr, glühender Wagnerianer, behandelte auch manche berühmten Sänger. Diese durften nach erfolgreicher Genesung gleich noch im Theater Halberstadt auftreten. Unter Einsatz privater Geldmittel organisierte der Arzt zwischen 1906 und 1910 erfolgreiche Darbietungen des Tristan, der Götterdämmerung und Meistersinger; mit grandioser Besetzung. Kehr ging zwar – enttäuscht über ausbleibende städtische Hilfen – nach Berlin, doch Wagner wurde ungebrochen im Vorharz dargeboten: Vom kompletten Ring 1926 über gute DDR-Inszenierungen bis zum ersten Nachkriegs-Lohengrin 1912 unter Leitung des Referenten. Es bleibt anzumerken, dass 1949 in Halberstadt der erste Theater-Neubau der DDR, gebaut aus Trümmern, errichtet wurde. Nicht nur aus diesem Grunde lohnt unbedingt ein Besuch.

Birgit Heise