„Aufgepasst! Jetzt kommt ein schönes Gedicht!“

Richard Wagner, sämtliche Gedichte, hrsg. von Frank Piontek, Verlag Breuer & Sohn, Berlin 2018, 42 Euro /
Lesung des Herausgebers vom 18. März 2022 in der Leipziger Wagner-NietzscheVilla, Karl-Heine-Str. 24b, für den Richard-Wagner-Verband Leipzig

Da hat sich doch tatsächlich jemand aufgemacht, Gedichte Wagners aufzuspüren und das Wagnis unternommen, die Funde zu veröffentlichen! Sogar bibliophil und limitiert und nummeriert! Respekt!

Jeder kennt Wagner als großen Opernkomponisten, als Librettisten seiner Werke, als Erzähler sogar, auch als Verfasser von Streitschriften über Gesellschaft, Politik und Kultur, ein breit und bewundernswert intelligent aufgestellter Mann. Aber Wagner und Gedichte? Piontek hat mit unendlicher Geduld immerhin an die 270 Gedichte für sein Buch gefunden, zweiundzwanzig sind unterdessen noch hinzugekommen, der Vorgang scheint nicht abgeschlossen. Eine Entdeckung! Zumal sie sich beinahe alle in den gesammelten Schriften Wagners nicht finden, dem Meister offenbar keiner Erwähnung wert waren, er sie links liegen ließ. Und nun kommts: zu Recht! Da hörte man Gedichte, die als Gelegenheitsergüsse eigentlich gar keine Gedichte im üblichen Sinne sind, wenn nicht der Devise gefolgt wird, alles sei Gedicht, was sich reimt. Ob schlecht oder recht, ob kurz, sehr kurz oder lang, die Gelegenheit hat’s gemacht, die Wortfolge an den Tag gebracht. Böse Gedichtchen, gute mal auch, unsinnige, welche voller Selbstironie, außer die an König Ludwig II., nicht sehr ernst gemeint. Hätten sie nur dem Ausschluss Herrn Wagners vertraut, Herr Piontek! Alles nichts weiter wert…

Aber da liest dieser Frank Piontek diese unwerten Gedichte Wagners mit einer Freude, mit verhaltener Ironie, mit gefälliger Süffisanz, dass selbst ein wortkarger Wagnerscher Blödsinn ein Schmunzeln und sogar Heiterkeit auslösen kann! Verhalten, versteht sich, aber immerhin! Fällt der Name Wagner, wird bei vielen an Tristan, Ring und Parsifal gedacht: alles wichtig, alles zu schwer, alles zu lang, alles zu laut… Bis auf wichtig – alles Unsinn, üble Nachrede! Aber dass Wagner als Person von vielen, selbst bei Verehrern seiner Kunst, eher wenig sympathisch ankommt, hat auch mit solchem seinem Ruf zu tun. Dennoch wissen wir von Friedrich Nietzsche seit dem 8.November 1868 – der junge Nietzsche traf erstmals bei Hermann Brockhaus auf den inkognito in Leipzig weilenden Wagner – dass „…der nämlich ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann“ sei, „… sehr witzig ist und eine Gesellschaft … ganz heiter macht“ (an Freund Erwin Rohde). Da sind wir am Punkt, auch mit Frank Piontek. Mit den Gedichten holt er Wagner mit dessen Witz und Schwächen vom Sockel! Aber anders als die Denkmalsstürmer aktueller Natur: Er tuts sympathisch, bringt uns Wagner menschlich damit nah! Und setzt ihn so wieder wie neu auf den Sockel! Und wir alle sehen ihn nun anders. „Wagner ist alles“, behauptet Piontek. Und lächelt. Er hat alles mit dem Gedichtband richtig gemacht, finde ich.

Die Lesung war durchaus würdig eingerahmt: Eingangs durch die Leipziger Musikschüler Maja Mitterer (Klavier) und Jeremias Vorwergk (Trompete), ausgangs mit blumigen Grüßen auch für Iris und Ralf Giesecke, die dem Wagner-Verband die wundersame Räumlichkeit zum wunderbaren Abend zur Verfügung gestellt.

20. März 2022
Harald Otto