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Es schien so alt – und war doch so neu
Verbandsreise nach Prag und Marienbad
Wolfgang Wagners Bayreuther Lohengrin-Inszenierung aus dem Jahre 1967, die von seiner Tochter Katharina 50 Jahre später auf die Bühne des Prager Nationaltheaters übertragen wurde, lockte ein weiteres Mal einen Bus voller Mitglieder unseres Wagner-Verbandes und einiger Dresdner Gäste nach Böhmen, geleitet und begleitet von unserem Verbandsvorsitzenden Thomas Krakow. Jüngster Teilnehmer war unser 23 jähriges Mitglied Benedikt Zimmermann, für den die Reise, unterstützt durch ein Verbandsmitglied aus Hessen, ein Dankeschön für die von ihm 2018 unserem Verband ehrenamtlich und kostenfrei eingerichtete neue Internetseite war.
Zunächst brachte uns der Bus des Reisebüros Polster & Pohl zum Prager Strahov-Kloster, von wo aus wir einen großartigen Rundblick auf die „goldene Stadt“ genießen konnten. Ein kleiner geführter Spaziergang und die Fahrt zum Hotel gaben Gelegenheit, einen Teil Prags mit seinen architektonischen Schönheiten näher kennenzulernen.
Um 17 Uhr begann die Vorstellung im prächtigen Neo-Renaissance-Saal des Nationaltheaters. Die meisten von uns erlebten den bisher nur vom Hörensagen bekannten Stil Neu-Bayreuths erstmals leibhaftig. Eine „entrümpelte“ Bühne, symmetrische, abstrakte Formen, stilisierte Bewegungen hoben das Geschehen heraus aus dem Alltäglichen, entrückten in eine Kunst-Welt und verhalfen der Musik zu gesteigerter Wirkung. Außer Andreas Schager in der Titelrolle überzeugten alle Solisten, der Chor und das Orchester des Nationaltheaters unter der Leitung von Constantin Trinks. Der begeisterte Beifall am Ende war gerechtfertigt.
Am nächsten Tag reisten wir nicht zufällig nach Marienbad. Während einer Führung durch die Kuranlagen bewunderten wir die alten, nach Restauration in erneuter Pracht erstandenen Gebäude, erfuhren Interessantes über deren Geschichte und berühmte ehemalige Badegäste, wie Goethe, Chopin und – natürlich Wagner, der 1845 hier eine fünfwöchige Kur absolvieren wollte, sich aber schließlich weniger mit dem Baden als mit den Prosaentwürfen zu den Meistersingern und – Lohengrin beschäftigte. Selbstverständlich suchten wir sein damaliges Wohnhaus auf, an welchem eine Gedenktafel angebracht ist.
Aus Marienbad hatte Richard Wagner an seinen Bruder Albert über Lohengrin geschrieben: „Ich fühle mich … sehr glücklich, die fast ganz unkenntlich gewordene Sage aus dem Schutt u. Moder der schlechten, prosaischen Behandlung des alten Dichter’s erlöst u. durch eigene Erfindung und Nachgestaltung sie wieder zu ihrem reichen, hochpoetischen Werthe gebracht zu haben.“
Ein vergleichbares Glücksgefühl mag sich bei vielen von uns auch beim Prager Lohengrin eingestellt haben: Befreit vom „Schutt und Moder“ des Regietheaters und durch Wolfgang Wagners „Nachgestaltung“ zu seiner eigentlichen Bedeutung gebracht – so konnte es in Umkehrung des historischen Zeitverlaufs all denen scheinen, die östlich des Eisernen Vorhangs aufgewachsen und nicht älter als 70 Jahre waren. Das Neu-Bayreuther Alte wurde wieder ein – außerordentlich eindrucksvolles – Neues.
Während das heutige Regietheater seine unzulässigen Werkeingriffe mit angeblich notwendiger „Aktualisierung“ legitimieren will, war der Ansatz der beiden Wagner-Enkel ein anderer. Es ging ihnen darum, mit ihren Inszenierungen „den archetypischen Kern der Werke zu erschließen“, wie Wolfgang Wagner 1967 sagte. Und er fügte hinzu: „Es darf daher wohl angenommen werden, dass sie nicht so bald als unaktuell und überholt empfunden werden.“ Die Prager Wiederaufnahme gibt ihm recht.
Reinhard Pfundt
Fotos: Prof. Reinhard Pfundt, Benedikt Zimmermann