Lohengrin – ein Werk auf dem Höhe- und Wendepunkt von Wagners Entwicklung

Auf diese Zusammenfassung lief der Vortrag von Prof. Werner Loss hinaus, den er unter dem Titel „Richard Wagners Lohengrin und sein religionssoziologisches Umfeld“ am 10. November in der Grieg-Begegnungsstätte Leipzig hielt. Er hatte es sich zur Aufgabe gestellt, verschiedene Thesen, die die Musik zur Kunstreligion der Moderne stilisierten – darunter die Wagners – zu entmythologisieren: durch Fakten. Zu Beginn erklangen in Einspielungen die sieben Grundmotive der Oper, vom Referenten vital kommentiert. Quasi im Zentrum des Tonartenzyklus steht in strahlendem C-Dur die Königs-Fanfare als Symbol der Dreieinigkeit Gottes. Nicht von ungefähr: Wagner ist, als er 1845 in Marienbad den Lohengrin entwirft, vom Christentum ergriffen. In Leipzig und Dresden wächst er in einer vielfältigen religiösen Gesellschaft auf, die von einem „Evangelium der Liebe“ geprägt ist, wie es der Komponist später gegenüber Ludwig II. formulieren wird. Gleichwohl er, auch in Riga und Paris, mit revolutionären Ideen Umgang hat, sieht er sich als Dresdner Hofkapellmeister kirchlichen Traditionen verpflichtet. In der katholischen Hofkirche bringt er mit Hingabe Meisterwerke der italienischen Kirchenmusik (a cappella) zur Aufführung. Doch schon um diese Zeit vollzieht sich mit den ersten Entwürfen zum Ring des Nibelungen ein innerlicher Wandel vom christlichen zu germanischen Mythenkreis. Liszt, „überzeugter tief gläubiger Christ franziskanischer Prägung“ (H. Loos), der den Lohengrin auf Wagners Ansinnen hin 1850 in Weimar zur Uraufführung bringt, ist noch ganz beseelt von „unaussprechlicher himmlischer Glückseligkeit“, die das Werk spende, während Wagner mit dem Ring bereits neuen Ufern entgegenstrebt. Der Zeitgeist hatte sich gewandelt, und Wagner folgt ihm. Aber noch einen anderen Wendepunkt neben dem vom Christentum zum Atheismus markiert der Lohengrin: einen musikalischen. Im Lohengrin folgt Wagner in der Tonsprache noch traditionellem deutschem, italienischem und französischem Vokabular, unverkennbar jedoch klingt bereits eine personen- und themenbezogene Erinnerungsmotivik auf. Im Ring wird er sie zur Leitmotivtechnik vervollkommnen.

Rolf Sprink

Fotos: Werner Kopfmüller