Zum diesjährigen Wagner-Geburtstag: Gedenken an zwei „Elisabeth“-Interpretinnen

Die 210. Wiederkehr von Richard Wagners Geburtstag am 22. Mai 2023 in Leipzig ist eine Gelegenheit des Erinnerns an besondere Ereignisse. Aus der Fülle möge das folgende Fundstück wert sein, als Beispiel zu dienen:

Noch im Jahre 1883, wenige Monate nach dem Tode des Dichterkomponisten, treten am 13. Juni und am 27. September zwei Sängerinnen im „Tannhäuser“ in der Rolle der Elisabeth im Neuen Theater in Leipzig auf.

Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie einfühlsam der Komponist und Musikverleger Oskar Schwalm (1856–1936) die Auftritte der beiden Damen Therese Malten (21.06.1855 Insterburg – 02.01.1930 Neu-Zschieren bei Dresden) und Milka Ternina (19.12.1863 Vezišċe – 18.05.1941 Zagreb) im Leipziger Tageblatt vom 15. Juni und 29. September 1883 besprochen hat. Die Texte werden hier auszugsweise wiedergegeben:

Zum Auftritt der Malten: „Für Wagner’sche Partien genügt nicht nur die absolute Gesangskunst eines wenn auch noch so phänomenalen Organs, sondern es ist zu einer wirksamen Ausführung derselben die höchste Darstellungskunst mit nöthig. Frl. Therese Malten vom Hoftheater in Dresden ist nun eine Künstlerin, bei welcher man die eben erwähnten beiden Erfordernisse glücklich vereinigt findet und es fanden daher auch ihre gestrigen Darbietungen als Elisabeth enthusiastischen Beifall.
Die hochgeschätzte Sängerin zeichnete die so sympathische Erscheinung der stillliebenden und aufopfernden Elisabeth mit so viel Sorgfalt und Ueberzeugungskraft in all den Einzelheiten, daß ihre Leistungen das Interesse des Publicums fortdauernd fesselten. Welch imposanten Eindruck gewährte gleich ihr Auftreten in der 1. Scene des zweiten Actes, wo sie in hellauflodernder Freude die so lange gemiedene Sängerhalle begrüßte! Da sprach sich in ihrer volltönenden, prächtigen Stimme die frohe Aufregung über die Rückkehr des geliebten Sängers aus. Gleich vortheilhaft zeigte sich ihr Darstellungstalent in der folgenden Ansprache an Tannhäuser, dem sie die süßschmerzlichen Empfindungen der zu ihm erwachten Liebe bekennt. Und wie vortrefflich Frl. Malten das Gebärdenspiel zu sprechendem Ausdruck zu bringen weiß, zeigte sich z. B. während des Sängerstreites. Auf ihrem Gesichte war deutlich die Spannung zu lesen, mit welcher sie die Gesänge der einzelnen Ritter verfolgte und entzückter als alle Anderen lauschte sie dem Liede des geliebten Tannhäusers, um freilich dann nach dessen verhängnisvollem, von sinnlicher Liebe durchglühtem Liede vom Venusberge die bitterste Enttäuschung und den tiefsten Schmerz zu erfahren. Großen Eindruck hinterließ die Schlußscene des zweiten Actes, als Frl. Malten mit dem wilden Aufschrei: Halt ein! die auf Tannhäuser eindringenden Ritter zurückhält. Hier wußte sie trefflich den nichts achtenden und fürchtenden Opfermuth in markigen Tönen zum Ausdruck zu bringen, aber ebenso ergreifend war ihre besänftigende Fürbitte für den geächteten Ritter. Viermaliger Hervorruf zeichnete die Künstlerin nach dem zweiten Acte aus, außerdem wurde ihr ein prächtiger Blumenkorb überreicht.“

Zum Auftritt der Ternina: „Die Darstellerin der Elisabeth, Frl. Ternina, bekundete ein erfreuliches Eindringen in den Geist ihrer Rolle und man darf wohl annehmen, daß mit der Zeit die noch jugendliche Sängerin diese Partie mit bedeutendem Erfolg durchführen wird. Die Begrüßung der so lange gemiedenen Halle, das zart-verschämte Geständnis ihrer Liebe zu Tannhäuser, ihre in bezeichnendem Mienenspiel bemerkbare Theilnahme am Sängerkreis, ferner ihr Erwachen aus kindlichem Wesen zur todesmuthigen Beschützerin des Geliebten waren Momente, die von entschiedenem dramatischem Talent zeugten. … Gelingt es der jungen Künstlerin, den Cardinalfehler ihrer Stimme, das leidige Tremoliren, erfolgreich zu bekämpfen, so kann sie bei weiterem Studium als tüchtige dramatische Kraft gelten.“

Hier treffen sich künstlerische Leistung und fachlich fundierte sowie sprachlich gekonnte mediale Verbreitung auf einem hohen Niveau.

Peter Uhrbach