Brisbane/Australien: „Der Ring des Nibelungen“ – Premiere 1.-7. Dezember 2023

Möglichkeiten und Grenzen der szenischen Digitalisierung

Der chinesische Regisseur Chen Shi-Zheng wollte mit seiner Neuinszenierung in Brisbane das Publikum mit dem ersten total digitalen „Ring“-Zyklus überraschen. Die Basis dafür sind große LED Paneele, die mit einem automatischen System choreografiert werden, dabei Räume öffnen und schließen, sowie ein digital gesteuertes Lichtsystem (Matthew Marshall) offenbaren. Zum ersten Mal war hier zu erleben, wie chinesische Mythologie, Design und Technologie in eine Opern-Produktion eingewoben werden. Das sieht in der Tat bestechend und aufregend aus, wenngleich der Regisseur sich auf das klassische story telling konzentriert. So gewahrt man im 1. Bild des „Rheingold“ Doubles der auf einem marmorartigen Riff singenden Rheintöchter im Rhein schweben, dessen wogende Wellen sich grünlich auf den Screens abbilden. Die Weltesche in der „Walküre“ ist ein 3D-gedruckter Bonsai-Baum aus den Suzhou-Gärten. Wotan und Fricka kommen im Lotussitz hereingefahren. Die Walküren kommen auf einem riesigen imposanten Phoenix aus der Bühnenhöhe herunter und werden exzellent choreografiert. Man legt aber auch Wert auf göttliche Eleganz. Die göttlichen Kostüme (Anita Yavich) bestehen aus modisch geschnittenen weißen Mänteln. Der Feuerzauber spielt sich intensiv mit einem 16 Meter langen brennenden Drachen ab. Im „Siegfried“ gibt es einen optisch-effektvollen Drachenkampf, nachdem eine Bali-Tänzerin als Waldvogel durch die Bühne schwebte. Im Finale der „Götterdämmerung“ gelingt es dem Regisseur, noch einmal alle wichtigen Momente Revue passieren zu lassen – äußerst eindrucksvoll und in Kulmination mit Wagners Musik!

Es sollte alles perfekt aufeinander abgestimmt sein, die Ästhetik der Kostüme, die moderaten Bewegungen und das stets variierende Licht sollten mit den wechselnden Inhalten der Digital Content Designer Leigh Sachwitz und flora&faunavisions, die auch für das Interactive Content Design and Programming zuständig waren, Hand in Hand gehen. Das gelang meist recht überzeugend. Shi-Zheng folgt im Prinzip nur den völlig von traditioneller Opernregie abweichenden stilistischen Mitteln modernster Digitaltechnik. Ihm ist daran gelegen, den „Ring“ als ein von allen einnehmbares Universum zu zeigen. Er nennt es einen neuen Welt-Mythos, wo jedes Einzelteil unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft widerspiegelt. Dabei ist die alte Mythologie für ihn äquivalent zum modernen science fiction. Das konnte man in Brisbane sehen.

Ein weitgehend sehr gutes Sängerensemble machte diesen „Ring“ auch zu einem vokalen Erlebnis. Stefan Vinke und Lise Lindstrom brillierten mit kraftvollen und ausdrucksstarken Stimmen als Siegfried und Brünnhilde. Das galt nur mit Abstrichen für Daniel Sumegi als Wotan/Wanderer und Andrea Silvestrelli als Hagen und Hunding. Weitere erstklassige Leistungen boten Rosario la Spina als Siegmund, Anna-Louise Cole als Sieglinde, Deborah Humble als Fricka und Waltraute, Warwick Fyfe als Alberich, Hubert Francis als Loge und Andreas Conrad als Mime. Ale Nebenrollen waren sehr gut besetzt.

Der mit weit von Europa entfernten „Ring“-Dirigaten vertraute Philippe Auguin wusste die weitgehend noch relativ Wagner-unkundigen australischen Sänger gut durch das Stück zu führen und sie vom Graben her niemals akustisch zu überfordern. Er wählte eher ruhige, viel seltener dramatische Tempi, als man es in Europa gewohnt ist. Das Queensland Symphony Orchestra folgte ihm willig und beherzt.

Klaus Billand

Pressefotos von Wallis Media/Opera Australia