Bonjour Richard – Wagner-Freunde aus der Provence in Leipzig

Das konnte die Stadtführerin ihren französischen Gästen nun doch nicht ersparen: „Hier“, erzählte sie, und wies auf die Stelle, wo früher das Thomaspförtchen den Weg nach Westen öffnete, „verließ Napoleon nach verlorener Völkerschlacht die Stadt hoch zu Ross, aber unbehelligt.“ Dorota und Philippe Richard aus Aix-en-Provence nahmen`s gelassen mit einer Prise gallischen Humors: „Man kann eben nicht immer gewinnen.“ Ohnehin waren sie nicht auf den Spuren „ihres“ Kaisers unterwegs. Was sie nach Leipzig führte, war vielmehr ihre Bewunderung des Mannes, der bei Napoleons Flucht noch in den Windeln lag. Begeisterte Wagnerianer und erfahrene Bayreuther, waren sie auch in diesem Sommer wieder zum Grünen Hügel gepilgert („Parsifal“!) und hatten danach erstmals einen Abstecher in Wagners Geburtsstadt geplant. Was lag für ihre Berliner Freunde Christine und Hans Jürgen Fink, zugleich Leipziger Verbandsmitglieder, näher, als den Vorstand um Hilfe zu bitten. Josef Hauer, kaum aus dem Urlaub zurück, arrangierte das Tagesprogramm, Ursula Oehme ließ die Endredaktion des Journals stehen und liegen und übernahm die Führung.

Am Café Wagner am Richard-Wagner-Platz – wo sonst – traf die kleine Gesellschaft am 4. August morgens um Zehn zusammen, verstärkt um Schatzmeisterin Annekatrin Richter. Wo einst Wagners Geburtshaus stand und gleich nebenan das ihn wie seine Schwestern so prägende Theater, breitete Ursula Oehme ihr überbordendes Wissen über die verästelte Wagner-Familie aus. Sodann führte sie zum vornehmen „Thomäischen Haus“ am Markt. Dort wohnte Onkel Adolph mit seiner reich ausgestatteten Bibliothek, die dem jungen Neffen die Sinne öffnete. An der Alten Nikolaischule hörten die Gäste von einem eher widerborstigen Schüler Richard W. An seine Rückkehr als schon berühmter Dirigent aus selbst gewähltem Exil wird im Städtischen Kaufhaus erinnert. Sein Auftritt im damaligen Gewandhaus geriet zum Desaster. Nicht minder kündet das Klingersche Denkmal vis-á-vis des ehemaligen Stasi-Geländes von der oft und lange unerwiderten Liebe zwischen Vaterstadt und Sohn. Das kenne man ja, kommentierte Philippe, oder, wie man im Französischen sagt: „Je t´aime, moi non plus.“ Staunend standen die Besucher in der Thomaskirche vor des kleinen Richards originalem Taufbecken, erfuhren dabei von Thomaskantor Weinlig, der dem Studenten Wagner nachhaltig kompositorischen Schliff vermittelte. Von dieser menschlichen Seite des verehrten Komponisten, räumten die Richards dann beim Wildschweinbraten in Auerbachs Keller ein, hätten sie bisher nichts oder wenig gewusst. Erst recht nichts von dem Grabmal für Mutter und Schwester auf dem Alten Johannisfriedhof und insbesondere von der Grabstätte von Richards Vater, die Ursula Oehme in einer bewundernswerten kriminal-historischen Recherche wieder entdeckt hatte. Der Tag klang aus in der Thomaskirche. Erschöpft wie beglückt lauschten die Besucher aus der Provence und Berlin dort dem Orgelspiel nahe dem Grabe des Großen Bach, den ja auch Richard Wagner zeitlebens bewunderte.

Hans Jürgen Fink

Foto: Annekatrin Richter

Treffpunkt Café Wagner Ursula Oehme, Josef Hauer, Philippe Richard, Hans Jürgen Fink, Dorota Richard, Christine Fink (v.l.)