Widmung, Quittung und Vertrag – Seltene Leipziger Wagner-Dokumente

Ein Vortrag von Dr. Frank Piontek in der Stadtbibliothek zu Leipzig

Eigentlich bietet der Oberlichtsaal in der Stadtbibliothek etwa 250 Menschen Platz. Dass es am Abend des 21. Oktober nur etwa dreißig waren, in großen Abständen sitzend, wundert in diesen Tagen niemanden mehr, denn wir leben in Zeiten von Corona. A-H-A, lautet die Devise, und das ist hier kein Problem. Auf dem Podium Dr. Frank Piontek, Wagner-Experte, Autor und nicht nur den Leipziger Wagnerianern dank manch fundierter, oft launiger Vorträge bestens bekannt. Diesmal nun widmete er sich einem Thema, das ihn seit mehreren Jahren beschäftigt: seltene, wenig bis gar nicht bekannte, oft kleine Dokumente, die aber allesamt Richard Wagners Beziehung zu seiner Geburtsstadt Leipzig anschaulich machen. Über 1000 Wagner-Dokumente, so erfuhr das aufmerksame Auditorium, sind bisher gefunden worden, nicht ausgeschlossen, dass auch das noch längst nicht alle sind. Einige davon zeigte Dr. Piontek auch auf der Leinwand. Wozu das alles gut sei, fragte er und sagte: „Der Vermutung, dass mit der Sammlung lediglich eine (freilich verständliche) Reliquiensucht befriedigt wird, kann widersprochen werden, denn die Dokumente sagen uns Einiges über Wagners Werk, über sein Leben, sein Selbstverständnis, seine Arbeits- und Freundschaftsbeziehungen – nicht zuletzt über seinen Humor und seinen Charme. Liest man etwa die vielen Widmungen, von denen nicht weniger als gut 100 literarischen Charakter besitzen, vermag man auch zu verstehen, wieso der Mann aus Leipzig auf so viele Zeitgenossen so bezwingend einzuwirken vermochte.“ Und dann belegt Dr. Piontek in seinem fast zweistündigem Vortrag eben diese These, u.a. mit dem ersten überlieferten Dokument aus Richard Wagners Hand, dem eigenhändigen Namenseintrag, den der Tertianer im Jahre 1828 in der Nicolaischule vornahm, oder der Widmung an seinen Freund Theodor Apel, dem der 18jährige auf ein Blatt mit fünf nummerieren Kontrapunktübungen schrieb: “Daß zum Andenken an Richard Wagner; denn daß ich Dich wieder besuchen soll, kannst du unmöglich verlangen, da ich Dich niemals zu Hause finde. R.W.“. Das vermutlich letzte „Leipziger“ Dokument, ein Vierzeiler, den Wagner am 30. Mai 1882 dem Theaterdirektor Angelo Neumann in einem Telegramm übermittelte, um sich für die Berliner Erstaufführung der Götterdämmerung, also die Durchsetzung des Ring an der Spree, zu bedanken:

War viel gewagt
Nach Wagners Art:
Nun sei nicht Dank
Noch Gruß gespart.

Kleine, oft so humorvolle Gedichte und Verslein, musikalische Übungen, Rechnungen, aber auch sehr persönliche Widmungen wie etwa jene auf dem im März 1832 frisch gedruckten Exemplar seiner B-Dur-Sonate, die er zum Geburtstag seiner Lieblingsschwester Rosalie von ihrem Bruder überreichte, zeigte oder zitierte Dr. Piontek. Rosalie, die erfolgreiche Schauspielerin, die nur fünf Jahre später viel zu früh starb, hatte ihren Bruder unterstützt, sich für ihn eingesetzt. Offiziell aber hatte Richard Wagner die B-Dur-Sonate seinem Lehrer Theodor Weinlig gewidmet, unter dessen Anleitung die Komposition entstanden war: „Für das Pianoforte componirt und Herrn Theodor Weinlig, Cantor und Musikdirector an der Thomasschule zu Leipzig, hochachtungsvoll gewidmet von Richard Wagner.“
Über 100 solcher Widmungen, von denen viele literarischen Charakter haben, sind überliefert.

Mit einer Vielzahl von ihnen machte der Referent sein Publikum an diesem Abend vertraut. Ende des 19. Jahrhundert erst wurde eine handschriftliche Widmung für die Witwe seines „unvergeßlichen Lehrers“ in den Archiven entdeckt, so wie auch heute noch Originaldokumente Wagners auftauchen. Ein Beispiel: ein Brief vom 10. November 1843, geschrieben aus Dresden an den Thomaskantor Moritz Hauptmann, erst 2013 gefunden! Dr. Piontek zu diesem Brief: „Ich erwähne ihn auch, um zu zeigen, dass die Suche nach Dokumenten und Briefen Wagners niemals abgeschlossen sein wird.“ Dieser Brief, in dem es um die Realisation seines „Liebesmahl der Apostel“ ging, zeige ebenso wie viele andere Dokumente, Wagners Bemühungen um lokale Realisationen seiner Werke. Man könnte, so Dr. Piontek, einen ganzen Vortrag allein mit der Erläuterung von Dokumenten füllen, die Wagner in Verbindung mit Personen bringen, die an der Pleiße gelebt haben: etwa Robert Schumann, sein Freund Heinrich Laube oder Theaterdirektor Wirsing, um nur einige zu nennen. Der Vortrag war gespickt mit vielen Beispielen humorvoller, manchmal kleinlicher, manchmal kritischer oder sogar rachsüchtiger schriftlicher Hinterlassenschaften Richard Wagners, die familiäre, freundschaftliche oder geschäftliche Beziehungen Wagners in seine Geburtsstadt bezeugen. Die gewohnt heitere Pionteksche Art des Vortrags machte diesen Abend in der Stadtbibliothek zu einem seltenen Vergnügen in angespannten Zeiten.

Winifred König

Fotos: Klaus-Michael Weinmann, Winifred König