Geschäftsstelle: Kickerlingsberg 6,
04105 Leipzig, Telefon: 0341 3086 8933
Mo - Mi, Fr: 10 bis 12 Uhr und
13 bis 16 Uhr, Do: 13 bis 18 Uhr
gs@wagner-verband-leipzig.de
IBAN DE22 8605 5592 1180 1145 20
Wagner-Festtage in Reykjavik vom 01. – 06. Juni
„So stand es aber nicht in meinen Schulbüchern“, wunderte sich ein Zuschauer am Ende der Vorstellung, „da muss der Herr Wagner etwas gründlich missverstanden haben.“ Arni Björnsson, Nestor der isländischen Wagner- Forschung, muss immer noch schmunzeln, wenn er diese Episode aus dem Jahre 1994 erzählt. Damals hatten die Isländer zum ersten Mal überhaupt die Gelegenheit, ihre eigenen, ihnen allen wohl bekannten Eddas und Sagas in Gestalt des Wagnerschen Nibelungen Rings im eigenen Lande auf der Opernbühne zu erleben. Dies hatten sie Selma Gudmundsdottir zu verdanken. Die Pianistin war gebeten worden, zum 50. Geburtstag der Republik Island „etwas Herausragendes“ zu veranstalten. Sie hatte zuvor zwei Jahre in Hannover studiert, dabei ihren ersten „Siegfried“ gesehen und dann auch Bayreuth besucht. Sie stellte nun den Kontakt zu Wolfgang Wagner her und überzeugte ihn von der Idee, den Ring gewissermaßen zurück nach Hause an seine literarischen Quellen zu holen. Tatsächlich machte sich der Wagner-Enkel im Januar 1993 auf den Weg, erreichte Reykjavik in Eis und Schnee, erkundete die örtlichen Gegebenheiten und verabschiedete sich mit dem Vorschlag, die Tetralogie seines Großvaters in einer speziellen Kurzfassung auf die Bühne zu bringen. Nach dem ersten „Schock“ machten sich die isländischen Wagner-Freunde ans Werk. Mit beharrlicher Energie und dank künstlerischer Beratung aus Bayreuth schafften sie es: im Mai 1994 hob sich erstmals in Islands Opernwelt der Vorhang für den Ring des Nibelungen: alle vier Teile wurden zu einem rund vierstündigen Abend zusammen gefügt und weitestgehend mit eigenen Kräften bestritten: Gesang, Dramaturgie, Bühne und schließlich das Symphonie-Orchester Reykjavik. Eine wahre, weithin beachtete Pionierleistung! Der Wagner-Enkel staunte nicht schlecht und freute sich eines besonderen Glücks, das seinem Großvater nicht beschieden war: durfte er doch im Original der Edda aus dem 13. Jahrhundert blättern, die Richard Wagner – auf seine eigene und wie immer eigenwillige Weise- für seinen Ring neu erzählt hatte. Kein Wunder, dass so einige im Zuschauerraum die alt-isländischen Geschichten nicht auf Anhieb wieder erkannten.
All dies berichtete Selma mit unverminderter Begeisterung beim Symposium zu den Ursprüngen des Ringes in ihrem Land. Die Vorträge in der Universität machten den wissenschaftlichen Kern dieser Wagner-Festtage aus, zu denen der RWV Island unter dem „Stichwort Wagner“ des Internationalen Verbandes in den ersten Junitagen geladen hatte. Wiederum war Selma die Initiatorin: Noch immer führt sie den Verband, den sie 1995 mit begründete, als Präsidentin von nun über 230 Mitgliedern – eine doch erstaunliche Zahl bei nur 300 000 Insel-Bewohnern insgesamt!
Viele von ihnen waren bei den Konzerten und Vorträgen präsent, nicht zuletzt beim Gala-Dinner in der Harpa, diesem wunderbaren Konzerthaus mit herrlicher Aussicht auf den Hafen von Reykjavik. Und so fanden die ausländischen Besucher, die die weite Reise übers Meer nicht gescheut hatten, zahlreiche Partner für neugierigen Fragen und freundschaftliche Kontakte. Aus den USA war eine starke Gruppe angereist, zahlreiche deutsche Städte waren vertreten, aus Portugal und selbst aus Namibia waren Wagner-Freunde dabei. Möglicherweise wäre die internationale Gäste-Schar noch größer gewesen, wäre die ursprüngliche Planung für das „Stichwort Wagner“ -eine Aufführung der „Walküre“ – nicht dem Covid-Virus zum Opfer gefallen. Gleichwohl zeigte sich RWVI-Präsident Rainer Fineske sichtlich zufrieden und froh, dass dieses Treffen nun endlich stattfinden konnte.
Island und Wagner: ist diese Beziehung, um die eingangs zitierte Episode aufzugreifen, ein Missverständnis? Schließlich führten Wagners (Flucht-)Wege nie so weit in den hohen Norden. Die Worte „Island“ oder „isländisch“ kommen in seinen Texten so gut wie nicht vor. Im Mainstream seiner Epoche begibt er sich vielmehr auf die Suche nach dem „nordischen Geist“ und dem „germanischen Heldentum“. Aber all dies findet er, unterstrich Arni Björnsson in seinem Vortrag, in der Edda-Mythologie und der Völsunga saga und eben nicht im (deutschen) Nibelungenlied. Seine Freunde in Deutschland, fügte er lächelnd hinzu, hätten eine Weile gebraucht, um dies voll und ganz zu verstehen. Immerhin gehen 80 Prozent der im Ring vereinten Geschichten, Motive und Personen, so hat er heraus gefunden, auf die alt-isländische Literatur zurück. Gleiches gelte für den Erzählstil, etwa mit dem Verzicht auf den Endreim. Dies sage er, Björnsson, „in aller Bescheidenheit“. Doch ebenso bescheiden räumte er ein: Wagner komponierte keine Musik zu den isländischen Sagas, er schrieb sein eigenes Libretto. Seine Sprache, erläuterte Prof. Thorhallur Eythorsson, namentlich der „stabgereimte Vers“, stamme schon aus alt-isländischen Quellen, aber Wagner habe damit nach eigenem Belieben gespielt. Mitunter („He he! Ihr Nicker! Wie seid ihr niedlich, neidliches Volk“) habe er es damit übertrieben, um Laut und Leitmotive zu verbinden. Als Synkretismus beschrieb die Germanistin Danielle Buschinger Wagners Arbeitsmethode, mit einzelnen Versatzstücken aus dem Fundus der nordischen Welt einen eigenen Mythos zu kreieren. Der Untergang der Götterwelt im Flammenmeer, literarisch eindeutig dem Edda-Mythos zuzuordnen, werde bei Wagner, so das Fazit der aus Paris angereisten Professorin, zum bürgerlichen Trauerspiel.
Grau wäre alle Theorie, käme nicht die Musik hinzu. Oder besser: stünde sie bei einem Wagner-Kongress nicht im Vordergrund. Dafür hatte Islands Wagner-Verband bestens gesorgt. Das Kammerorchester Reykjavik machte den Auftakt mit einem reinen Wagner-Programm im kleineren Saal der „Harpa“. Hanna Dora Sturludottir, Stipendiatin des Berliner Verbandes in den neunziger Jahren, interpretierte den Liebestod aus Tristan und Isolde auf berührende Weise. Der Liebestod gehörte auch zum Abschlussprogramm der Festtage. Dieses Mal erklang er auf dem Klavier. Dazu ging es hinaus in das moderne Gemeindezentrum von Kopavogur, eine knappe Busstunde von Reykjaviks Zentrum entfernt. Der Pianist war ebenfalls ein ehemaliger Bayreuth- Stipendiat, der in Hannover beheimatete Israeli Albert Mamriev. Er kombinierte Beethoven-Sonaten mit von Liszt transkribierten Auszügen aus Opern seines Schwiegersohnes, erntete viel Applaus und bedankte sich mit zahlreichen Zugaben.
Rauschenden Beifall fand auch Barbara Hannigan tags zuvor im ganz in Rot getauchten Großen Saal der Harpa. Die vielfach gefeierte kanadische Sopranistin, die sich inzwischen zudem aufs Dirigieren verlegt hat, blieb auch bei diesem ihrem ersten Auftritt in Island ihrem Stil treu: Sie machte beides zugleich. Sie sang und dirigierte- oder war´s umgekehrt? Ungewöhnlich auch die Programm-Abfolge: Zunächst dirigierte sie Charles Ives „Unanswered Questions“ und verknüpfte sie nahtlos mit Schönbergs „Verklärte Nacht“. Zum Ausklang wählte sie Gershwin und entfaltete dabei ihr ganzes Temparament: Mit „I got rythm“ rockte die Kanadierin nicht nur das Publikum im Saal. Auch im Symphonieorchester Reykjavik saßen alle Musikerinnen und Musiker gewissermaßen auf der Stuhlkante. Kein Zweifel: Mit Hannigan bläst frischer Wind durch den Konzertbetrieb. Vielleicht hätte selbst Altmeister Wagner seine Freude daran? So nach seinem eigenen Motto:“Kinder, schafft Neues!“.
von Hans Jürgen Fink