Anfang ohne Ende – Vortrag anlässlich der ersten Begegnung von Richard Wagner und Friedrich Nietzsche vor 150 Jahren

14. November 2018 in der Leipziger Stadtbibliothek am Leuschnerplatz. Für knapp 60 Anwesende war es eine erkenntnisreiche, eine schöne Abendveranstaltung. Als nun schon traditionelle musikalische Einleitung spielte diesmal ein Damen-Trio – Dorothea Zahn, Josefine Stansch und Alma Deutsch von der Leipziger Musikschule „Johann Sebastian Bach“ – Kompositionen von Bach, James Hoot und Gabriel Fauré, vorgetragen auf Querflöten.

Dann der etwa zweistündige Vortrag von Kerstin Decker, Journalistin beim Berliner »Tagesspiegel« und Buchautorin, unter dem Titel „Anfang ohne Ende – Die Erstbegegnung Richard Wagners mit Friedrich Nietzsche vor 150 Jahren und das Wirken von Elisabeth Förster-Nietzsche“. Dankenswerterweise war sie kurzfristig eingesprungen für die krankheitsbedingt verhinderte Renate Reschke, die sich Nietzsches Wagnerianerinnen widmen wollte. Kerstin Decker erzählte, erläuterte und las aus ihren von der Kritik hoch gelobten Büchern „Nietzsche und Wagner. Geschichte einer Hassliebe“ (Propyläen Verlag, Berlin 2012) und „Die Schwester. Das Leben der Elisabeth Förster-Nietzsche“ (Berlin Verlag, Berlin 2016).

Am 8. November 1868 trafen der Student Friedrich Nietzsche und der Komponist Richard Wagner in der Wohnung Querstraße 15–16 seines Schwagers, des Orientalisten Hermann Brockhaus und dessen Frau Ottilie, zum ersten Mal aufeinander. „Der Student begrüßt den Gott“, schreibt Kerstin Decker. Jahre später wird er sich fragen: „Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit?“

Nebenbei sei an zwei Veröffentlichungen erinnert, die ebenfalls das Ereignis resümierten. Die erste stammt von Fritz Koegel (1860–1904), Philologe und Komponist, der am 30. Oktober 1896 einen Vortrag auf einem Gesellschaftsabend der Litterarischen Gesellschaft in Leipzig zum Thema „Wagner und Nietzsche“ im Hôtel de Pologne hielt, ausführlich beschrieben in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 2. November 1896. Die zweite von Richard Oehler (1878–1948), einem Cousin Nietzsches, ab 1903 als Archivar und Publizist auch mit Werk und Nachlass von Richard Wagner befasst, erschien am 5. Oktober 1924 in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ unter dem Titel „Nietzsche in Leipzig“ mit einem Kapitel, das diese erste Begegnung schildert.

Der Vortrag von Kerstin Decker enthielt eine Fülle von umfassend recherchierten, gut lesbaren Einzelheiten und Zusammenhängen, psychologisch meisterhaft dargestellt. Der lange Anlauf bis zum Ereignis, die eingeschobene Beschreibung der Beziehung von Nietzsche zur Musik und den Tondramen Wagners bis zum Überwinden aller Vorbehalte, die ganze Vorgeschichte und schließlich die Entfremdung der beiden nahm das Publikum mit gespannter Aufmerksamkeit auf, die bis zum letzten Wort der Vortragenden anhielt. Die ausführliche, detailreiche, hochamüsante Schilderung der ersten Begegnung kann im Internet nachgelesen werden als Wiedergabe eines Briefes vom 9. November 1868 von Nietzsche an seinen Freund, den Philologen Erwin Rohde (1845–1898).

Dann das Jahr 1878, Erscheinungsjahr der philosophischen Schrift „Menschliches, Alllzumenschliches. Ein Buch für freie Geister“ von Friedrich Nietzsche, dem 100. Todestag von Voltaire gewidmet. Die zweite Auflage mit einem zweiten Teil erscheint 1886 und führt zu einem ersten Bruch zwischen Wagner und Nietzsche, der nie verheilen wird, denn diese Veröffentlichung war nicht, wie üblich, mit Wagner besprochen. Wagner fühlt sich selbst vom Inhalt der Schrift betroffen, die Folge: Frau Cosima ereifert sich im Schlechtreden, Schwester Elisabeth Nietzsche (1846–1935) bedauert, dass nun alles kaputt sei. Elisabeth schaut zu ihrem Bruder Friedrich wie zu einem Vater auf, den beide bereits 1849 verloren haben. Kunst sei nun nicht mehr eine ideale, sondern eine wissenschaftliche Angelegenheit, heißt es. Die Autorin betonte, dass sie in ihrem Buch ein ganz anderes Bild von der Nietzsche-Schwester vermittelt, als das allgemein negativ verbreitete. pu