Sollten nicht alle an einem Strang ziehen?

Voller Erwartung und gut vorbereitet hörte ich mir den Vortrag „Richard Wagner und die Juden“ von Prof. Dr. Nemtsov am 20. September d. J. in der Leipziger Stadtbibliothek an.
Die vom Hallenser Sender Corax am 20. Juli 2022 veröffentlichte Sendung „Richard Wagners Antisemitismus und die Verehrung der Zuhörerschaft“ hatte ich vor einigen Tagen im Internet gefunden. Hier kam bereits Nemtsov zu Wort und trug in reichlich 20 Minuten seine Gedanken in konzentrierter Form zum Thema vor. Sich das einmal anzuhören, ist nur sehr zu empfehlen.
Seinen Ausführungen vorangestellt ist ein kurzes Gespräch mit Thomas Kumbernuß, Abgeordneter im Leipziger Stadtrat, seit 1. April d. J. fraktionslos, weil aus der Linksfraktion ausgetreten. Damals, als Mitglied der Partei „Die Partei“, trat er dafür ein, die Bühnenwerke Wagners in Leipzig nicht mehr aufzuführen, so lange dessen Antisemitismus nicht glaubhaft und öffentlich aufgearbeitet sei. Zu dieser Forderung kam er, nachdem er auf eine entsprechende Anfrage beim Stadtrat eine unbefriedigende Antwort bekam.
Der Vortrag jetzt von Nemtsov, in der Einleitung gleichzeitig als Gespräch ausgewiesen, wäre für Kumbernuß eine Gelegenheit gewesen, seine Gedanken und Argumente hier noch einmal vorzutragen – aber Fehlanzeige.
Der Vortragende gab auch Denkanstöße, so z. B.: Philosophische Gedankenspiele können schnell zu realen Handlungsanweisungen verleiten – oder: Statt stets sich um Reinheit der öffentlichen Äußerungen zu mühen durch Verbote, sollte das bessere Argument gesucht und entgegen gesetzt werden, d. h. sich die Argumente eines politischen Gegners erst einmal anzuhören anstatt sie gleich abzustoßen oder gar verbieten zu wollen. (Schön gesagt, aber auch ein Dilemma gegenwärtiger Politik, meine ich.)
Zur Sprache kam auch das Verhältnis von Wagner zu Meyerbeer und Mendelssohn-Bartholdy. Als ich gegen Ende der 90er Jahre anfing, die drei Leipziger Zeitungen (bis Jg. 1933) durchzusehen, las ich auch Rezensionen über Aufführungen von Werken beider Komponisten, deren Inhalt abschätziger Art ich als unbefangener Leser als bare Münze nahm. Inzwischen kenne ich, wie im Vortrag beschrieben, die Ursache: Wagners langwirkendes Verdikt gegen beide Komponisten.
In diesem Vortrag sind aber auch so manche längst bekannte Dinge vorgetragen worden, so manches andere ungesagt geblieben. Ich denke da z. B. an das fast familiäre Verhältnis Wagner/Gobineau (trotz geistiger Distanz: Wagner Antisemit, Gobineau Rassist) oder den Beginn des rassistischen Antisemitismus, ausgelöst durch Wilhelm Marrs Pamphlet „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ 1879 und die Verweigerung der Unterschrift Wagners unter eine entsprechende Massenpetition Bernhard Försters 1880, einer der rüdesten Vertreter des politischen Antisemitismus zu dieser Zeit. Beim Thema Hitler genügte der Hinweis, dass dieser Richard Wagner zwar als Kulturgröße ersten Ranges, aber nicht als Ahnherr der Judenverfolgung je benutzt hatte wegen seiner vielen jüdischen Freunde und nichtjüdischen Gegner. Aber dass Onkel Adolf bei Frau Cosima das richtige Halten einer Tasse Kaffee einst lernte, hätte ganz sicher für Heiterkeit im Veranstaltungsraum „Huldreich Groß“ im 4. Stock der Leipziger Stadtbibliothek gesorgt.

Abschließend die Frage, warum der Leipziger Wagnerverband in der Wagnerstadt Leipzig immer noch kein eigenes Refugium hat und für seine Veranstaltungen auf die Gastfreundschaft der Leipziger Stadtbibliothek angewiesen ist ?!
Wenn sich eine Stadt den Namen eines Prominenten als Ehrennamen zulegt, ist es da nicht Usus, dass alle städtischen Einrichtungen, Vereine, Stiftungen und dgl. alles tun, um jegliches Tun zur materiellen und ideellen Förderung des Rufbildes – wie hier die „Wagnerstadt“ – einvernehmlich zu unterstützen?

Peter Uhrbach