„Ein Meistersinger muss er sein“ – gelungene Premiere an der Oper Leipzig

Bernd Weikl hätte hochzufrieden sein können mit David Pountneys Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ vom 23. Oktober 2021 an der Leipziger Oper, wäre er unter den Premierengästen gewesen. Denn der weltberühmte Wagner-Sänger, der 163-mal Hans Sachs an allen großen Opernhäusern, darunter auch in Bayreuth, darstellte, wünschte sich aus eigener Erfahrung, dass die „Meistersinger“ im dritten Aufzug ohne die obligatorischen Insignien des nationalsozialistischen Regimes und ohne Nazis auf die Bühne kämen. Darauf verzichtete Pountney, galt es doch hier der Kunst in bester Wagnerscher Manier, wobei sich der Komponist selbst als Meister der Klangkunst präsentierte. Eine Idylle zeigt Pountney im Miniatur-Nürnberg trotzdem nicht, denn es handelt sich um eine reine Männergesellschaft, in der die Meister, allesamt gut betuchte Bürger, dem Meistergesang nach ihren traditionellen Regeln frönen. Frauen können höchstens durch Heirat Frau Meisterin, aber nicht Meister werden, worauf sich Evas Amme Magdalene (Kathrin Göring) trotzdem freut, wenn sie nur ihren David (Matthias Stier) kriegt. Eva (Elisabet Strid) wiederum, des reichen Meisters und Meistersingers Pogners (Sebastian Pilgrim) Tochter, ein flottes junges Mädchen mit Pferdeschwanz und Leggings, trotzdem dem Vater gegenüber ein „folgsam Kind, gefragt nur spricht’s“, wird zur Trophäe ausgelobt, um dem Sieger im Meistergesang – „ein Meistersinger muss er sein“ – die Hand zum Ehebund zu reichen, wobei das Erbe des Vaters an den Bräutigam fallen soll. Der bereits durch sein Äußeres zum Außenseiter gestempelte Stadtschreiber Sixtus Beckmesser (Ralf Lukas singt, Mathias Hausmann spielt stimmlich indisponiert nur) rechnet sich Chancen aus, was Eva fürchtet, aber zum Glück tritt ein Herzensbrecher namens Walther Stolzing (Magnus Vigilius) mit weißen Jeans und roten Sneakern auf den Plan, in den sie sich Knall und Fall verliebt. Dem jungen Heißsporn scheinen die Felle davonzuschwimmen, als er „versingt“ und dadurch „vertan“ hat, das heißt, die Meistersinger verstört, weil er deren Regeln nicht beherrscht. In letzter Minute nimmt sich der berühmte Hans Sachs (James Rutherford), Schuhmacher und Poet dazu, seiner an. Es ist der altersweise Richard Wagner höchstselbst in Sachsens Gestalt, der Stolzing wieder aufbaut („Denn wer als Meister ward geboren, der hat unter Meistern den schlimmsten Stand“) und auf Eva verzichtet, so wie er im wirklichen Leben auf Mathilde Wesendonck verzichtete, die er wie Eva zu einer gebildeten jungen Frau, „edel, frei und kühn“ im Denken, „erblühen“ ließ. So ist es nur folgerichtig, dass Eva sich am Ende entgegen Wagners Regieanweisungen emanzipiert, Stolzing und die selbstzufriedene Gesellschaft verlässt und ihren eigenen Weg geht, während Meistersinger Stolzing zunächst die Meisterwürde ablehnt, sich schließlich doch korrumpieren, von Sachs die Meisterkette umhängen lässt und damit in die Gilde aufgenommen wird. So bleibt alles beim Alten.

Das wegen der Corona-Pandemie nicht vollbesetzte Große Haus zollte nach einer Spieldauer von fünfeinhalb Stunden den Darstellern, dem Gewandhausorchester unter der Stabführung von Ulf Schirmer, dem Chor unter Leitung von Thomas Eitler-de Lint und dem Regieteam einhelligen begeisterten Beifall und sogar Standing Ovations. Nicht ein Buhruf ertönte. Für die Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes war es eine besondere Freude, in der ersten Pause zum Empfang mit Weißwein, Wasser, kleinen kulinarischen Köstlichkeiten und guten Gesprächen geladen zu sein, wofür Torsten Reh und Klaus-Michael Weinmann in bewährter Weise gesorgt hatten.

Ursula Oehme

Szenenfotos: Kirsten Nijhof