Frankfurter Wagner Kontexte: „Richard Wagner und das Weibliche“

Unser Schwesterverband in Frankfurt hat Ende des vergangenen Jahres den vierten Band aus der Reihe „Frankfurter Wagner Kontexte“ vorgelegt, wobei es den Verantwortlichen um Dr. Sven Hartung und Dirk Jenders nicht nur wiederholt gelungen ist, eine herausragende Forschungsarbeit zu würdigen, sondern nun auch thematisch so richtig Wagner zu wagen. Unter dem Titel „Richard Wagner und »das Weibliche«“ führt der junge Autor Paul Simon Kranz die Zusammenhänge von Philosophie, Biographie und Werk des Meisters aus und nennt dabei die aktuelle Geschlechterdebatte in unserer Gesellschaft als einen der Gründe für seine Beschäftigung mit dem Thema.

Wie gewohnt verspricht der Tectum Verlag dabei ein solides Hardcover Buch, das übersichtlich, sinn- und stilvoll die teils farbigen Bilder, Notenbeispiele und Zitate darstellt. Dabei wurde eine wunderschöne Grafik von Henri Fantin-Latour zur Illustration des Einbands verwendet. Auch wer das unverschämte Glück hat, die Original-Lithografien von Fantin-Latour aus Adolphe Julliens großer Wagner-Biographie zu kennen, wird sich hier freuen, denn: die im Buch abgebildete ist dort nicht zu finden und muss wohl extra entstanden sein.

Nun ist es gerade uns Interessierten kein Geheimnis, dass Wagner als Mensch und Mann sich in seinem Werk auch intensiv autobiographisch abgearbeitet hat. Mit der größte „Bruch“ und Segen in seiner Biographie ist dabei natürlich Cosima, aber auch die Causa Wesendonck wirft ihren üblichen Schatten voraus. Diese für Wagner so großen, bedeutenden Frauen finden sich in den Opern-Protagonistinnen ebenso, sei es als Elisabeth, Isolde, Brünnhilde oder Kundry, um nur einige zu nennen.

Der Autor Simon Kranz, der zunächst Schulmusik auf Gymnasium und nun Gesang an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main studiert, verknüpft in der 180 Seiten starken Abschlussarbeit für sein erstes Staatsexamen die bekannten Frauenrollen in Wagners frühen Opern mit der Biographie und philosophischen Ansätzen aus des Meisters reichen Schriftenfundus. Dass ihm hier eine repräsentative Auswahl gelungen ist, ist nicht nur bemerkenswert in Anbetracht der permanenten Auseinandersetzung Wagners im Kontext Liebe und Erlösung, sondern auch wertvoll – wer hat schon immer den Nerv, in den Regallängen gesammelter Werke und Briefen zu blättern, um die richtig aussagekräftigen Stellen zu finden?

Kurz führt der Autor zu Beginn in die Zeit und den historischen Kontext ein in dem Wagner seine Ideen, Schriften und Libretti formulierte. Dann führt er einen schlüssigen und sinnvollen Dreischritt durch: zunächst untersucht er die Schriften, dann die Biographie, um letztlich die gewonnenen Thesen auf die Werke anzuwenden.

Wie bereits angesprochen wählt der Autor eine repräsentative Sammlung an Textquellen Wagners aus, beispielsweise zitiert er aus Briefen an Wagners Freund Röckel, aus den Schriften „Das Kunstwerk der Zukunft“, aus „Oper und Drama“ und lässt Tagebucheinträge von Cosima sprechen. Auch die berühmten letzten Worte im Aufsatz „Über das Weibliche im Menschlichen“ fehlen nicht und das Kapitel wird abgerundet, indem abstrakte Begriffe wie „Liebe“ und „Erlösung“ in Wagners Gedankenwelt herausgearbeitet werden. Der Autor schlussfolgert hierzu, dass „die Trias von Liebe, Weib und Erlösung“ (S. 171) gar eine überproportionale Rolle in Wagner theoretischer Beschäftigung gespielt hat.

Im zweiten Schritt wird der biographische Hintergrund beleuchtet und dabei werden einzelne Beziehungen besonders herausgegriffen, beispielsweise die zur Mutter, zur Lieblingsschwester Rosalie, seine Rolle als Ehemann und Liebhaber – wir kennen unseren Richard ja bestens. Auch wird deutlich, dass es immer wieder die Frauen sind, die den roten Faden von Wagners Treiben und getrieben sein spinnen. Hierbei und an anderer Stelle zeigt sich, dass der Autor nicht nur wissenschaftlich solide gearbeitet hat, sondern auch mehrfach sinnvoll auf weiterführende Literatur verweist, beispielsweise auf Dietrich Macks „Wagners Frauen“, und – das zeichnet ihn als Wissenschaftler aus – verschiedene Positionen zu Wort kommen lässt.

Wagner ist zwar Künstler, doch alle Diskussionen um ihn als (politischen) Mensch kulminieren immer wieder in die Frage: wie viel Mensch steckt im Werk? Und bei dem hier behandelten Thema braucht man sich gar keiner Illusion hingeben, dass auch in den Opern wiederum Frauen eine entscheidende Rolle spielen oder mit den Worten des Autors: „Wagner [setzt] die Inkarnation seiner realen Sehnsüchte und philosophischen Ideen in diesem Werk stetig fort“ (ebd.). Im nächsten Abschnitt des Buches werden deshalb die Auswirkungen von Wagners Haltung, seiner Liebe und Sehnsüchte auf die „Feen“, das „Liebesverbot“, den „Rienzi“, „Holländer“, „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ herausgearbeitet. Hier besticht nun eine gut leserliche und doch genau Analyse an den Noten und dem Libretto entlang, die es ermöglicht, die abstrakten philosophischen Ideen deutlich zu greifen und dem Autor in seiner Argumentation zu folgen mit welcher er Wagners menschliche und auch geistige Entwicklung nachvollzieht.

Leider, wahrscheinlich aus praktischen Gründen, um den Stoff zu begrenzen, fehlt eine Abhandlung der Meistersinger, des Tristans, des Rings und des Parsifals, die Arbeit ist zeitlich auf circa 1850 begrenzt. Das ist zwar schade, da gerade die Verwerfungen aus der Wesendonck Zeit sich in den beiden erst genannten Opern niederschlagen, aber sehr verständlich, zumal diese Opern in dieser Hinsicht schon deutlich ausführlicher interpretiert wurden und somit die Frühwerke ergiebiger sind.

Sehr solide ordnet der Autor abschließend seine Arbeit ein und diskutiert dabei Wagners Rolle in der Geschichte der Frauenbewegung und der Emanzipation mit einem Blick auf die heutige Zeit. Dabei betont er nachdrücklich, dass Wagner mit den starken, handelnden Frauen seiner Zeit weit voraus war, dass gar die zentralen Frauenfiguren unweigerlich „dazu geführt haben, dass sich die Position der Frau als Protagonistin im Opernapparat veränderte“ (vgl. S. 169). Da, wie so meistens, diese Fragen sehr umstritten sind und Wagners Charakter stehts auch eine große Ambivalenz an den Tag legt, lässt er auch Widerspruch, beispielsweise von Adorno, zu Wort kommen.

Ein kleiner, aber feiner Höhepunkt ist die persönliche Einschätzung des Autors, in der er differenziert anführt, dass der zeitliche Kontext und Wagners Sozialisierung den maßgeblichen Referenzrahmen darstellen müssen und er rät bei kontroversen Fragen nachdrücklich zur Auseinandersetzung, keinesfalls zur Meidung oder Verzerrung der Person und des Werks.

Abschließend findet man ein Literaturverzeichnis, das sich wie ein „Who is who“ der Wagner Literatur liest und man merkt, dass diese Abschlussarbeit nicht nur bis ins letzte Detail sauber ausgeführt ist, sondern wahrscheinlich auch hervorragend wissenschaftlich angeleitet und betreut wurde. Dennoch versteigt sich der Autor nicht in ein akademisches Schachtelsatz-Wirrwar, sondern liefert eine anregende Lektüre, die durch gute Gliederung abschnittsweise sehr portioniert lesbar ist und zumindest im Rahmen der behandelten Opern eine wichtige Ergänzung zur bisherigen Literatur liefern darf.

Dem Wagner-Verband in Frankfurt um seinen Vorsitzenden Dirk Jenders ist hier (wiederum) ein großer Wurf gelungen und wir wünschen der Reihe, dem Verband und dem jungen Autor alles erdenklich Gute.

Benedikt Zimmermann

Richard Wagner und »das Weibliche« – Zu den Interdependenzen von Philosophie, Leben und frühem Werk. Von Paul Simon Kranz. 198 Seiten, 8 teils farbige Bilder, 19 Notenbeispiele. Tectum-Verlag, Baden-Baden, 2021. ISBN 978-3-8288-4725-5. 44,00 €.